Magazin durchsuchen

Neuste Blogs

25. Mai 2013, 12:21 Kolumnen

Das Sopranos-Momentum

Marco Büsch - Das Ende des Semesters naht und die Prüfungen stehen bevor. Es wird Zeit für ein wenig Pseudowissenschaftlichkeit, heute: Das «Sopranos-Momentum».

Zurzeit neigt sich das Frühlingssemester an der Uni dem Ende zu und so ziemlich alle Studis befinden sich in der Lernphase für die Prüfungen – so auch ich. Weil ich in dieser Zeit alle anderen Pendenzen hintan stelle und das Lernen den Tagesablauf bestimmen sollte, ich aber nicht mehr als drei Stunden am Stück lernen kann, entsteht zwischen den Lernphasen jeweils ein Vakuum. Also genauer gesagt entstehen Vakuen, in denen ich mir sinnvollerweise überlege, ob es nicht doch Vaken, Vakua oder gar Vakümer heisst. Oder ich schaue ganze Staffeln durch von Serien wie «Boardwalk Empire», «The Office (UK)» oder «Fawlty Towers» (alles sehr sehenswert!). Oder ich befinde mich, wie im Moment gerade, in einer pseudowissenschaftlichen Phase, bei der ich für alles und jeden eine Theorie aufstelle und ihnen wilde Namen gebe wie das «ETH-Syndrom», die «Whatsappisierungs-Theorie» oder eben das «Sopranos-Momentum». Auf letzteres werde ich nun genauer eingehen, auf die anderen vielleicht ein andermal. Bei Bedarf.

Nun das «Sopranos-Momentum» ist nach der berühmten Mafia-Serie «Sopranos» benannt und beschreibt einen bestimmten Moment, für den ich leider bis zum heutigen Tage keinen wissenschaftlichen Namen gefunden habe (falls ihn also jemand weiss: bitte bitte melden!). Es ist zum Beispiel der Moment, wenn jemand dich nach einem Gefallen fragt, der dir unangenehm ist und du sagst, du hättest keine Zeit, obwohl dein Gegenüber weiss, dass du eigentlich Zeit hast, nur einfach den Gefallen nicht erfüllen willst. Es bleibt aber ein Restrisiko bestehen, dass man wirklich etwas vorhat und das Gegenüber ziemlich dumm dasteht, wenn es trotzdem auf den Gefallen besteht, ich meine, dann heisst das ja, das Gegenüber sehe einen als Lügner (der man ja ist, nur weiss das das Gegenüber nicht mit 100 prozentiger Sicherheit). Das war jetzt ein bisschen eine umständliche Erklärung, weshalb ich es anhand der Sopranos nochmals erklären will: Tony Soprano lässt einen seiner Widersacher abmurksen, seine Mafiafreunde lassen den Leichnam aber nicht einfach liegen, sondern verstecken ihn. Die Familie des Widersachers sucht verzweifelt nach dem Familienmitglied, denn niemand weiss, ob er getötet wurde oder nicht doch einfach abgehauen ist (sozusagen «Schrödingers Leiche»). Bald einmal kommen sie natürlich auch zu Tony Soprano, denn mit diesem hatte das Familienmitglied schon seit langem Streit und er würde am meisten von dessen Tod profitieren. Tony streitet aber alles ab und lässt die Familie im Ungewissen bezüglich des Verbleibs des Familienmitglieds. Die Familie kann sich hernach nicht an Tony rächen, denn es bleibt ein Restrisiko, dass er trotzdem nicht der Auftragsgeber war und/oder das Mitglied vielleicht gar nicht tot ist, sondern in einem Zeugenschutzprogramm oder ähnliches. Das «Sopranos-Momentum» beschreibt jedenfalls diese Schnittstelle zwischen genau wissen, dass der andere schuldig ist und dem Restrisiko, dass er es eben trotzdem nicht ist und die damit verbundene Handlungsunfähigkeit, weil man vielleicht moralisch gar nicht im Recht ist.

Die CIA hat aber in den 50er Jahren ein ähnliches Konzept verfolgt mit der glaubhaften Abstreitbarkeit (im Original: plausible deniability), welches davon handelte, bei Bedarf jegliche Verantwortung abstreiten zu können: Führungsstrukturen und Befehlsketten waren äusserst informell, sodass sie im Notfall immer abgestritten werden konnten. Wenn also eine Operation in die Hosen ging, wurden meistens keine Beweise für eine Verbindung zur CIA hinterlassen. Es vermuteten dann zwar alle, dass die CIA hinter der Tat gesteckt haben könnte, keiner konnte ihr dies jedoch beweisen. Die Watergate- und die Iran-Contra-Affäre sind Negativbeispiele, bei denen diese Taktik nicht funktioniert hat und bei denen dann Köpfe rollen mussten. Es handelte sich also eher um eine Institution, welche eigentliche gar keine Institution war, während mein «Sopranos-Momentum» eher auf das Zwischenmenschliche abzielt.

Nun, ich gebe zu, für einen Nobelpreis wird es mit dieser Theorie wohl nicht reichen, wahrscheinlich nicht einmal für ein schlechtes Plagiat, jedoch begegnet mir das «Sopranos-Momentum» des Öfteren im Alltag und ich habe dann immer meine kleine Freude daran, wenn ich es ein wenig wichtigtuerisch benamsen kann. Es sind doch die kleinen Freuden im Leben, welche das Leben lebenswert machen, um mit einem pseudotiefgründigen Satz zu schliessen. Und jetzt muss ich weiterlernen.

Kolumne auf ronorp.ch

Weitere Kolumnen gibt es auf meinem Blog nachzulesen: Hier!

Kommentare
Login oder Registrieren